Liebe Kolleg_innen,
auch die Vereinigung demokratischer Juristen und Jurist_innen Frankfurt unterstützt den Arbeitskampf der Inhaftierten hier in Butzbach.
Grundrechte hören nicht an Gefängnistüren auf. Gerade für Inhaftierte, die einer absoluten Institution des Staates unterstellt wurden, müssen die in der Verfassung verbürgten Rechte zum Tragen können und wirksam geschützt werden.
Sonderstatusverhältnis
long long time ago: 1871 gab es die Vorstellung eines Sonderstatusverhältnis. Die Idee dahinter war, dass Menschen in staatlichen Institutionen wie dem Gefängnis und der Schule sich in den Staatskörper eingliedern. Bei dieser Eingliederung verlieren sie auch ihre Grundrechte und ihre Stellung als unabhängige Person.
Seit dem Strafgefangenenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977 ist klar, dass diese Vorstellung eines Sonderstatusverhältnis überholt ist. Mit Demokratie und Rechtsstaat lässt sich ein solcher grundrechtsfreier Raum auch unter dem Grundgesetz nicht vereinbaren. Denn auch in diesem Staat gilt, dass alle staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist.
Diese Vorstellung eines Sonderstatusverhältnisses, das Inhaftierte zu Grundrechtsträgern zweiter Klasse degradiert, wirkt bis heute fort. Jüngst wieder demonstriert in erschreckend ignoranter Weise durch den Sprecher des Hessischen Justizministeriums Brosius-Linke.
Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern – Jedermann-Grundrecht
Das Grundgesetz garantiert in Art. 9 Abs. 3 die Gewerkschaftsfreiheit. Und zwar unabhängig von Staatsangehörigkeit oder anderen Bedingungen.
Wir fordern dass hessische Justizministerium und die Gerichte auf, die freie Ausübung dieses Grundrecht durch Gefangene nicht länger zu verhindern. Dazu gehört auch die Selbstverständlichkeit, dass unabhängige Gewerkschaftstätigkeit möglich ist und an diese keinerlei Repressionsmaßnahmen anknüpfen dürfen.
Selbstverständlich sehen auch wir, dass Gewerkschaftsarbeit drinnen nicht eins zu eins aussehen kann wie draußen. Die Kernidee von Gewerkschaften besteht darin, gegensätzliche Interessen zu organisieren. Deshalb kann auch im Gefängnis die Frage der konkreten Ausgestaltung von Gewerkschaftsrechten nicht einseitig an Vollzugsinteressen gemessen werden. Auch im Knast muss eine arbeitsrechtlich Interessensvertretung, die den Namen verdient, möglich sein. Selbst das Hessische Strafvollzugsgesetz sieht die Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit nicht explizit vor. Die derzeitige Behinderung von gewerkschaftlicher Organisierung ist vor diesem Hintergrund schlicht rechtswidrig.
Anerkennung als Arbeitnehmer_in
Regierung und JVA-Leitung machen es sich in der Debatte leicht und behaupten, Gefangene seien keine Arbeitnehmer_innen. Damit würden für sie die üblichen Arbeitsrechte nicht gelten. Doch wenn Inhaftierte tagtäglich Klettergerüste und Bürostühle produzieren – was ist das anderes als Arbeit?
Auch die Arbeitsverhältnisse hinter Gittern erfüllen die gängigen Merkmale der Lohnarbeit:
- Weisungsgebundenheit der Arbeiter_innen durch die Betriebsleitung
- Eingliederung in einen fremdbestimmten Betriebsablauf, der auf Arbeitsteilung beruht
- finanzielle Abhängigkeit der Arbeitnehmer_innen und
- schlicht die Grundkonstellation: Arbeitskraft gegen Existenzsicherung.
Denn auch im Knast ist das Arbeiten für die eigene Existenzsicherung erforderlich. Zu überteuerten Preisen müssen in privat geführten Kiosken Grundbedürfnisse wie Hygienartikel und Lebensmittel gekauft werden. Nicht wenige Inhaftierte müssen Prozesskosten abzahlen oder ihre Familien unterstützen.
Resozialisierung
Auch der oft zur Legitimation vorgebrachte Punkt, es handele sich doch nicht um Arbeit, sondern um Resozialisierung oder rein therapeutische Maßnahmen überzeugt nicht. Denn was soll hier das Resozialisierungsideal sein? – Lohn- und Sozialdumping, Gewerkschaftsunterdrückung, unter Strich: Arbeiten und Klappe halten?
Allein wenn die Politik auf das Bundesverfassungsgericht hören würde, wäre viel gewonnen. Resozialisierung soll auf ein künftig eigenverantwortetes und straffreies Leben vorbereiten. Dafür müsse Arbeit einen greifbaren Vorteil bringen und als sinnvoll erlebbar sein. Arbeit müsse sich lohnen und zur Herstellung einer Lebensgrundlage taugen. Ein Indikator, ob sich die Arbeit als Mittel zur Resozialisierung eigne sei die Höhe des Arbeitsentgelts. Zu geringe Löhne widersprächen der Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip und würden sich daher nicht für eine Resozialisierungsmaßnahme eignen. Damit Pflichtarbeit im Knast ihre Wirksamkeit als Resozialisierungsmittel entfalten kann, brauche es eine angemessene Würdigung z.B. durch entsprechende Löhne, Hilfen zur Schuldentilgung, Haftzeitverkürzung, sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften.
Arbeiten Gefangene außerhalb der JVA in privatwirtschaftlichen Unternehmen stehen offensichtlich keine therapeutischen Zwecke im Vordergrund. Hier werden Gefangenen auch als Arbeitnehmer anerkannt. Nichts anderes kann gelten, wenn Unternehmen ihre Produktion in die Haftanstalten reinverlagern. Das es hier um Wertschöpfung geht, wird deutlich, wenn man sich die Bemühungen der JVA Butzbach ansieht, Unternehmen zu werben. Da ist die Rede davon, dass Räume und Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden. Gefangene sind hier nur noch verleihbares Produktionsmittel. Zu behaupten, dass es sich bei solcher Arbeitsausbeutung um therapeutische Resozialisierung handele, ist zynisch. Statt staatlich organisierter Sonderwirtschaftszonen fordern wir menschenwürdige Arbeitsbedingungen hinter Gittern.
- Gleicher Lohn für gleich Arbeit!
- Einbeziehung in die Sozialversicherung ohne Ausnahmen!
- Wer arbeitet, hat das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren!
- Lasst uns Gefängnisse als rechtsfreie Räume zu einem Phänomen von gestern machen!